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Die betriebliche Altersversorgung (bAV) ist Chance und Risiko zugleich. Für Arbeitgeber kann sie ein starkes Instrument zur Mitarbeiterbindung sein oder ein rechtliches Minenfeld. Angesichts demografischer Alterung und sinkender gesetzlicher Rentenniveaus gewinnt sie zwar zunehmend an Bedeutung, doch mit den Chancen wachsen auch die Pflichten. Denn die bAV ist eine freiwillige Leistung, sondern in Form der Entgeltumwandlung auch gesetzlich verankert.
Besonders bei versicherungsförmigen Durchführungswegen in Form von Direktversicherungen oder Pensionskassen entstehen arbeitsrechtliche Risiken, die oft unterschätzt werden. Zwei Stellgrößen, der Rentenfaktor und die Treuhänderklausel, entfalten hier mitunter gravierende Wirkung. Häufig sind sie intransparent geregelt und entfalten ihre Folgen erst Jahre später, mit möglichen Konsequenzen für die Haftung des Arbeitgebers.
Gerade deshalb ist eine sorgfältige Vertragsgestaltung und transparente Kommunikation unerlässlich, um die bAV nicht zum Risiko, sondern zu einem echten Vorteil für Arbeitgeber und Beschäftigte zu machen.
Inhaltsangabe
1. Rentenfaktor: Technischer Parameter oder Risikofaktor?
1.1 Was ist der Rentenfaktor?
1.2 Varianten des Rentenfaktors
1.3 Rechtsdogmatische Bedeutung des Rentenfaktors in der bAV
2. Der Rentenfaktor in der wirtschaftlichen Realität
2.1 Entwicklung der Kalkulationsgrundlagen
2.2 Wertgleichheit bei Entgeltumwandlung (§ 1 Abs. 2 Nr. 3 BetrAVG)
2.3. Die Einstandspflicht (1 Abs. 1 S. 3 BetrAVG)
3. Treuhänderklausel: Flexibilitätsinstrument oder Umgehungskonstruktion?
3.1 Wie funktioniert die Treuhänderklausel?
3.2 Praxisfall: Intransparente Treuhänderklausel – Arbeitgeber in der Haftung
3.3 AGB-rechtliche Grenzen (§ 307 BGB) – Wann Vertragsklauseln unwirksam werden können
4. Handlungsempfehlungen – Was Arbeitgeber konkret tun sollten
5. Das Fazit ist eindeutig: Rentenfaktor und Treuhänderklausel sind keine Nebensache
1. Rentenfaktor: Technischer Parameter oder Risikofaktor?
1.1 Was ist der Rentenfaktor?
Der Rentenfaktor ist der zentrale Umrechnungsparameter in kapitalgedeckten bAV-Verträgen: Er gibt an, wie viel lebenslange monatliche Rente ein Kapital zum Rentenbeginn ergibt. In der Regel wird ein fester Faktor (z. B. „Rentenfaktor 30“) verwendet, das bedeutet: je 10.000 € Versorgungskapital ergeben sich 30 € lebenslange Monatsrente.
Diese Umrechnung erscheint betriebswirtschaftlich neutral, tatsächlich hat sie weitreichende juristische und versorgungsrelevante Konsequenzen.
Allerdings ist der Rentenfaktor nicht einheitlich definiert, sondern in drei funktional sehr unterschiedlichen Varianten anzutreffen.
1.2 Varianten des Rentenfaktors
In der Praxis werden unterschiedliche Ausgestaltungen verwendet, die juristisch und ökonomisch nicht gleichwertig sind:
- Garantierter Rentenfaktor: Wird im Vertrag als Mindestfaktor zum Rentenbeginn festgelegt. Allerdings sind viele dieser Garantien durch sog. Treuhänderklauseln relativierbar.
- Aktueller Rentenfaktor: Der Versicherer legt jährlich, voranging auf Basis der Lebenserwartung, der Rechnungszinsen und der Kosten, einen neuen Rentenfaktor fest. Er ist rechtlich bei Vertragsabschluss nicht festgelegt, sondern erst zum Rentenbeginn.
- „Hart“ garantierter Rentenfaktor: Streng vertraglich garantiert und nicht durch Treuhänderklauseln abänderbar. Diese Variante bietet maximale Planungssicherheit, sofern die Garantie sich auf das Garantiekapital und dem Gesamtkapital bezieht.
Die Unterscheidung dieser Varianten ist für die arbeitsrechtliche Beurteilung der Versorgungszusage entscheidend.

1.3 Rechtsdogmatische Bedeutung des Rentenfaktors in der bAV
Die zentrale juristische Schnittstelle ist § 1 Abs. 1 S. 3 BetrAVG (Betriebsrentengesetz). Danach steht der Arbeitgeber auch bei versicherungsförmiger Durchführung für die Erfüllung der zugesagten Leistungen ein. Diese Einstandspflicht umfasst auch die Leistungshöhe und damit faktisch den Rentenfaktor.
Wird ein Rentenfaktor z. B. in einer Versorgungszusage (arbeitsrechtlicher Teil) als (vermeintlich) garantiert dargestellt, im Versicherungsvertrag aber durch eine Treuhänderklausel modifizierbar gehalten, entsteht eine Diskrepanz zwischen arbeitsrechtlicher Zusage und tatsächlicher Versicherungsleistung. Der Arbeitgeber haftet dann für die Differenz, ggf. lebenslang.
2. Der Rentenfaktor in der wirtschaftlichen Realität
2.1 Entwicklung der Kalkulationsgrundlagen
Die Rentenfaktoren unterlagen in den vergangenen Jahren einem signifikanten Rückgang, getrieben durch:
- Senkung des Höchstrechnungszinses
- steigende Lebenserwartung (z. B. zunehmende Rentenbezugsdauer)
- Kostenbelastung durch erhöhte Verwaltungskosten
Einfacher wird das Verständnis des Rentenfaktors, wenn man sich ein konkretes Rechenbeispiel anschaut: Angenommen, ein Arbeitnehmer hat bis zum Renteneintritt ein Versorgungskapital von 100.000 Euro angespart, etwa durch eine Direktversicherung im Rahmen der betrieblichen Altersvorsorge. Der Rentenfaktor legt nun fest, wie viel monatliche Rente pro 10.000 Euro Kapital gezahlt wird.

Variante 1: Rentenfaktor 30
- 100.000 € / 10.000 € = 10
- 10 × 30 € = 300 € monatliche Rente
Variante 2: Rentenfaktor 25
- 10 × 25 € = 250 € monatliche Rente
Differenz: 50 € pro Monat – lebenslang.
Das entspricht über 20 Jahre betrachtet einem Rentenverlust von 12.000 €.
Das Beispiel zeigt anschaulich: Schon kleine Veränderungen beim Rentenfaktor können erhebliche Auswirkungen auf die lebenslange Altersrente haben, insbesondere für Arbeitnehmer, die auf ein konkretes Leistungsversprechen vertrauen.
2.2 Wertgleichheit bei Entgeltumwandlung (§ 1 Abs. 2 Nr. 3 BetrAVG)
Besonders kritisch ist dies bei der Entgeltumwandlung. Hier gilt das Wertgleichheitsgebot nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 BetrAVG: Der Arbeitgeber muss sicherstellen, dass der Umwandlungsbetrag und die zugesagte Leistung „objektiv wirtschaftlich gleichwertig“ sind. Fällt der Rentenfaktor drastisch, z. B. durch veränderte AVB (Allgemeine Versicherungsbedingungen) oder Treuhänderklauseln, kann dieses Gleichgewicht verletzt sein.
2.3. Die Einstandspflicht (1 Abs. 1 S. 3 BetrAVG)
Wie unter Punkt 1.3. schon erwähnt, sind einseitige Rentenkürzungen unzulässig und der Arbeitgeber steht für die ursprünglich versprochenen Leistung ein. Wir stellen fest, dass sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber häufig gar nicht wissen, dass der Rentenfaktor geändert werden kann und damit zu einer geringeren Rentenzahlung als in der Versorgungszusage genannt führt. Die entstandene Differenz ist ggf. aufgrund der Einstandspflicht vom Arbeitgeber auszugleichen.

3. Treuhänderklausel: Flexibilitätsinstrument oder Umgehungskonstruktion?
3.1 Wie funktioniert die Treuhänderklausel?
Versicherungsunternehmen können in ihren Vertragsbedingungen eine sogenannte Treuhänderklausel haben. Häufig haben Versicherer die Möglichkeit, garantierte Rentenfaktoren zu ändern. Insbesondere dann, wenn sich die Lebenserwartung oder das Zinsniveau so nachhaltig verändern, dass das vorhandene Kapital nicht ausreicht, um die ursprünglich zugesagte Rente lebenslang zu zahlen. Die Unterdeckung muss durch einen unabhängigen Treuhänder bestätigt werden.
In vielen Fällen ahnen Arbeitgeber nicht einmal, dass vermeintlich garantierte Rentenfaktoren durch sogenannte Treuhänderklauseln faktisch widerrufbar sind. Solche Klauseln sind in zahlreichen Verträgen enthalten, oft gut versteckt und somit kaum verständlich formuliert.
Das ist auch keine reine Theorie, sondern hat schon vielfach bei unterschiedlichen und auch namhaften Versicherern stattgefunden.
3.2 Praxisfall: Intransparente Treuhänderklausel – Arbeitgeber in der Haftung
Ein mittelständisches Unternehmen schließt 2015 eine Direktversicherung für seine Angestellten ab. Im Arbeitsvertrag wird lediglich eine „garantierte lebenslange Altersrente auf Basis des Vertrages mit der Versicherung XY“ versprochen, ohne jede Erläuterung der Berechnungsgrundlagen oder Hinweise auf eine Treuhänderklausel.
Tatsächlich enthält der Versicherungsvertrag in den allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) eine Treuhänderklausel, die dem Versicherer erlaubt, bei veränderten Rechnungsgrundlagen (z. B. starke Erhöhung der Lebenserwartung, nachhaltige Senkung der Kapitalmarktrendite) mit Zustimmung eines unabhängigen Treuhänders die Rentenleistung zu kürzen. Diese entscheidende Klausel wurde dem Arbeitnehmer nie mündlich oder schriftlich erklärt.
Elf Jahre später, 2026, reduziert der Versicherer die Rentenzahlung um rund 10 % – basierend auf dieser Klausel. Für den Arbeitgeber kommt das völlig überraschend: Er rechnet fest damit, dass der Versicherer das Risiko trägt.
Doch der Arbeitnehmer klagt gegen den Arbeitgeber und gewinnt. Das Arbeitsgericht stellt unmissverständlich klar: Die arbeitsrechtliche Verantwortung für die zugesagte Altersversorgung liegt allein beim Arbeitgeber. Die intransparenten Vertragsklauseln entlasten den Arbeitgeber nicht – denn unabhängig davon, ob die Reduzierungsklausel gegenüber dem Arbeitnehmer offen kommuniziert oder arbeitsvertraglich einbezogen wurde, gilt: Der Arbeitgeber haftet im Rahmen seiner Einstandspflicht (§ 1 Abs. 1 Satz 3 BetrAVG) für die vollständige Erfüllung des Versorgungsversprechens. Wird die zugesagte Leistung – hier die garantierte lebenslange Altersrente – aufgrund vertraglicher Regelungen zwischen Versicherer und Arbeitgeber (Versicherungsnehmer) gekürzt, ohne dass dies arbeitsvertraglich vereinbart wurde, muss der Arbeitgeber die Differenz ausgleichen. Nach unserer Erfahrung wird dies in der Praxis oft übersehen oder gar nicht thematisiert – ändert aber nichts an der rechtlichen Verantwortung.
Für viele Arbeitgeber bedeutet dieser Fall eine bittere Überraschung: Man geht davon aus, der Versicherer trage das Risiko, tatsächlich jedoch haftet der Arbeitgeber im Zweifelsfall allein für Versorgungslücken. Das zeigt, wie gefährlich und kostenintensiv intransparente bAV-Verträge sein können.
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3.3 AGB-rechtliche Grenzen (§ 307 BGB) – Wann Vertragsklauseln unwirksam werden können
Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) unterliegen der Inhaltskontrolle nach § 307 BGB. Danach sind Bestimmungen unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders unangemessen benachteiligen oder intransparent sind. Besonders kritisch wird es, wenn:
- die Regelung nicht klar und verständlich formuliert ist,
- wesentliche Rechte oder Pflichten einseitig verschoben werden.
Der Gesetzgeber will so sicherstellen, dass AGB nicht zur Umgehung gesetzlicher Schutzvorschriften missbraucht werden und die Vertragsparteien auf Augenhöhe bleiben.
Diese rechtlichen Anforderungen gelten nicht nur für klassische Verbraucherverträge, sondern ggf. auch in der betrieblichen Altersversorgung. Klauseln zu Treuhändereingriffen oder Rentenfaktoranpassungen können dann problematisch sein, wenn sie als Teil der AGB eingestuft werden (zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern im Innenverhältnis) und den genannten Transparenzanforderungen nicht genügen oder eine unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers darstellen. In solchen Fällen droht die Unwirksamkeit – mit der Folge, dass etwa eine vorgesehene Absenkung des Rentenfaktors nicht greift und der Arbeitgeber für die ursprüngliche Zusage haftet. Schlimmer wäre die Rückabwicklung der Entgeltumwandlung aufgrund des Verstoßes gegen das Klarheitsgebot.
4. Handlungsempfehlungen – Was Arbeitgeber konkret tun sollten

Vertragsanalyse durch Fachjuristen oder bAV-Experten
Prüfen Sie bestehende Versicherungsverträge systematisch auf:
- Rentenfaktorregelungen,
- Treuhänderklauseln,
- Garantieniveau,
- Anpassungsklauseln und wirtschaftliche Auswirkungen.
Arbeitsrechtliche Absicherung
Verwenden Sie eindeutige und rechtlich einwandfreie Formulierungen in der arbeitsrechtlichen Versorgungszusage.
Dokumentierte Arbeitnehmeraufklärung
Informieren Sie Ihre Mitarbeitenden stets schriftlich über mögliche Einschränkungen von Garantien – insbesondere über die Abhängigkeit der Leistungen vom Rentenfaktor und potenzielle Änderungen durch Treuhänderklauseln. Aber Achtung: Auch eine schriftliche Aufklärung oder vertragliche Vereinbarung entbindet Sie nicht von der Pflicht, geltendes Recht einzuhalten. Vereinbarungen, die gegen gesetzliche Regelungen oder arbeitsrechtliche Grundsätze verstoßen, sind unwirksam – und können Ihre Haftung im Zweifel sogar verschärfen.
Verzicht auf nachteilige Vertragsklausen bei Neuverträgen
Wo möglich: Vereinbaren Sie Verträge mit hart garantierten Parametern oder streichen Sie Klauseln, die Leistungsreduktion erlauben.

5. Das Fazit ist eindeutig: Rentenfaktor und Treuhänderklausel sind keine Nebensache
Rentenfaktoren und Treuhänderklauseln sind keine harmlosen Details. Sie sind tickende Zeitbomben bei der betrieblichen Altersvorsorge. Ihre unterschätzte Bedeutung und die Anwendung der Kürzungen führt regelmäßig zu hohen Nachzahlungen, oft Jahrzehnte nach Abschluss der Versorgungszusagen.
Wer als Arbeitgeber diese zentralen Vertragsbestandteile nicht genau prüft, setzt sich einem enormen Haftungsrisiko aus. Ohne fundiertes Fachwissen ist es kaum zu durchschauen.
Ohne externe, spezialisierte Beratung laufen Arbeitgeber Gefahr, in eine finanzielle Falle zu geraten. Die Folgen erkennen sie oft erst zu spät. Dann müssen sie teuer dafür bezahlen. Diese Haftungsrisiken sind real und existenzbedrohend. Bloßes ungeprüftes Vertrauen auf Versicherer, Berater oder Standardverträge schützt nicht davor.